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Dass Carsten sich diese Aufgabe auferlegt hat und das „Coeur d’Artichaut“ in Münster zur Wahl ins Feinschmecker-Forum geworfen hat, sei ihm hoch anzurechnen, ebenso wie die Organisation des Gourmet-Gipfeltreffens. Dass die Kulinarik-Konferenz (und jetzt ist es auch genug mit den allgegenwärtigen Alliterationen) letztlich auf zwei geschätzte Teilnehmer von der Nahe verzichten musste, stimmte die Delegation zwar traurig, aber auch zuversichtlich, dass es sicher eine weitere Möglichkeit zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort geben wird.
Am deutschen Feiertag begrüßt uns Münster eher mit schäbigem Wetter und die Schönheit der Stadt versteckt sich unter grauem Nieselregen und hinter menschenleeren Straßen. Umso herzlicher und sonniger die Begrüßung der Gesellschaft erst im Hotel und dann im Restaurant, das ziemlich versteckt in einem Innenhof in der Innenstadt liegt. Innen ein großzügiger Raum mit Blick in die Küche, unser großer Tisch etwas separiert neben dem Tresen, was den Abend sowohl für uns als auch die übrigen Gäste durchaus angenehmer gestaltet.
Außenansicht
Interieur
Frédéric Morel, gebürtiger Bretone mit Stationen bei Thomas Martin im Hamburger „Louis C. Jacob“ (2 Michelin-Sterne) und bei Joachim Wissler im „Vendôme“ in Bergisch-Gladbach (3 Michelin-Sterne) in den besten Häusern der Republik gestählt und als Küchenchef im „Se7en oceans“ in Hamburg mit dem ersten eigenen Stern ausgezeichnet, hat in Münster im Oktober 2019 den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und dort nach nur wenigen Monaten bereits einen Stern verliehen bekommen.
Im „Coeur d’Artichaut“ gibt es ein Menü in 4, 6 oder 8 Gängen (85,--€ / 115,--€ / 140,--€).
Unsere Gesellschaft hatte sich im Vorfeld auf das volle Programm verständigt mit einer Fischversion.
Mit drei kleinen, hintereinander servierten Apéros geht es los. Den Auftakt macht ein Tartelette mit Zandertatar, dem Sellerie, eingelegter Apfel und eine Dillmayonnaise einen schönen frischen Charakter verleiht, bei dem Dill sich deutlich in den Vordergrund schiebt.
Ein fluffiger Sellerie-Financier mit Haselnuss und Blauschimmel-Käse wird schon etwas kräftiger, obwohl der Käse sich nicht zu vordergründig präsentiert.
In der aromatischen Steigerung folgt eine warme Rindfleischpraline, die einen leicht säuerlichen Grundton hat, aber auch reichlich Umami mitbringt. Dafür bleibt die angekündigte Artischocke geschmacklich mehr als zurückhaltend.
Apéros
Apéros
Apéros
Sehr überzeugend die Brotauswahl mit einem Tomatenbrötchen, einem Sauerteigbrot und einer Brioche mit Bergkäse, die sehr einem Gougère ähnelt. Neben der guten Salzbutter setzt vor allem die sehr markante Algenbutter kräftige Akzente.
Brot & Butter
Das Menü selbst startet mit Hummer aus der bretonischen Heimat von Fréderic Morel, aber anders als man erwarten würde, in sehr verfremdeter Form als dünn geschnittenes Tatar und als Rillette zubereitet. Von der Konsistenz ähnelt es damit eher fein gezupftem Taschenkrebsfleisch. Dem Geschmack tut dies keinen Abbruch. Morel arbeitet Seeigel in das Tatar und gibt dem Ganzen ein Kräutergranité und ein farbloses Tomatenwasser, das mit Kräutern aromatisiert wird, an die Seite. Das führt zu einem Gesamtbild, das sowohl frisch, als auch füllig mit schönen Temperaturkontrasten daher kommt.
Bretonischer Hummer / Bunte Tomaten / Kräuter
Très français wird es mit dem folgenden Kalbskopf als Terrine, begleitet von einer Vinaigrette auf Basis des Kochsuds, Radieschen und Schnittlauch, dazu ein kleiner Salat mit getrocknetem Eigelb. Das ist jetzt nicht gerade besonders leicht, aber mit absolutem Wohlfühlcharakter, elegant deftig und alles andere als plump.
Kalbskopfterrine / Frisée / Vinaigrette
Aus der gleichen Feelgood-Abteilung stammt auch der nächste Gang. Miesmuscheln sind mit glasierten Petersilienwurzeln und Salatspitzen getoppt und baden in einer Beurre Blanc, die mit etwas Petersilienöl aromatisiert ist. Am Tisch herrscht Einigkeit darüber, dass es durchaus ein paar Exemplare mehr von den Muscheln hätten sein dürfen, aber vor allem, dass die Sauce der eigentliche Star auf dem Teller ist. Wenn das Attribut mollig auf etwas zutrifft, dann sicherlich auf dieses Gericht.
Miesmuscheln / Zitrone / Petersilie
Üppig wird es mit dem Steinbutt, der selbstverständlich aus der Bretagne kommt. Das ist zum einen der Zubereitungsart, aber auch der Sauce zu verdanken. Der Fisch wurde in Nussbutter confiert, die Nussbutter anschließend selbst mit Buttermilch zwar etwas leichter gestaltet, nur um sie dann anschließend doch wieder mit Butter zu binden. Das ist sicher nichts für Kalorienzähler, aber dem unvergleichlichen Geschmack und Genuss kam man sich nur schwer entziehen. Als Beilage serviert Morel Celtuce, im deutschen auch als Spargelsalat bekannt, wenngleich nicht sehr geläufig. Sowohl die Stiele als auch der Salat können verarbeitet werden und erinnern, zumindest entfernt, tatsächlich etwas an Spargel. In Kombination mit den dazu gereichten Nordseekrabben, kommt so etwas Frische, Biss und zusätzliche Geschmackstiefe ins Spiel.
Bretonischer Steinbutt / Celtuce / Krabben
Ordentlich, wenn auch nicht so begeisternd wie die vorherigen Gänge, präsentiert sich der Hauptgang. Der Ibérico Schweinerücken ist auf meinem Teller stellenweise etwas trocken geraten. Das mag ein Ausrutscher sein, denn bei meinen Tischnachbarn sieht das Fleisch deutlich mehr rosé aus. Alles übrige ist makellos, sei es die geschmorte Backe und die recht herzhafte Einfassung mit Blutwurst, Senfkörnern, Zwiebelpüree und Perlgraupen. Auch die kräftige Jus passt gut dazu. Dennoch fällt das, vor allem aufgrund des Gargrades des Rückens, für mich doch etwas ab.
Ibérico Schwein / Zwiebel / Apfel
Auch mit dem Käsegang werde ich nicht so recht glücklich. Zwar ist die Variation um Feige als Granité und pur gut gedacht, auch in Kombination mit Senfkörnern und gelber Bete, aber der Tomme de Savoie ist definitiv zu jung und kann sich kaum gegen seine Mitspieler behaupten. Ein kräftigerer, gereifterer Käse hätte hier meines Erachtens deutlich besser gepasst.
Tomme de Savoie / Feige / Walnuss
Den süßen Teil des Menüs läutet eine Quarkmousse mit Holunderbeersorbet und Gurkengranité ein. Das ist unkompliziert und frisch und stellt nach den teilweise recht deftigen Gängen zuvor eine gelungene Überleitung dar.
Gurke / Dill / Holunder
Nicht nur optisch sehr stimmig endet das Menü mit Brombeeren, einer zum Glück nur hintergründig durchschmeckenden Lavendel-Ganache, einem Whiskey-Eis, in dem der rauchige Ton allerdings nur sehr dezent durchscheint sowie Crumble. Das ist sehr harmonisch und gefällt mir sehr gut, ebenso wie der blau gefleckte Teller, der für dieses Dessert mehr als passend ausgesucht ist.
Brombeere / Lavendel / Whiskey
Bleibt dieses Dessert durchaus noch im konventionellen Rahmen, erlaubt sich Frédéric Morel zum finalen Abschluss doch noch eine Extravaganz. Neben den Buchweizen-Madeleines und einem Macaron mit Banane-Curry-Ganache serviert er uns noch einen seiner Signature Dishes, der offenbar traditionell immer ein Menü hier beschließt.
Mit einem Himbeer-Paprika-Sorbet, Eukalyptus-Schaum und Algen-Baiser kommt schon in der puren Aufzählung eine ziemlich wilde Mischung in die Schale. Die krasse Kombination überlagert eine massive ätherische Note. Das ist mutig und spaltet die Gemüter am Tisch. Auch ich bin hin- und hergerissen, kann mich im Endeffekt aber nicht wirklich dafür begeistern.
Madeleines
Macarons
Post Dessert
Trotz dieses polarisierenden Schlussakkords ist die Meinung am Tisch über die Gesamtleistung eindeutig. Das Menü wusste mit harmonischen Gerichten und einwandfreiem Handwerk zu überzeugen. Die Kombinationen sind kreativ, aber – vom Post-Dessert vielleicht mal abgesehen – nicht verstörend. Süffige Saucen bestimmen viele Gänge und führen am Tisch zu einiger Begeisterung. War das typisch Bretagne? Nach meiner Erinnerung vor Ort bestenfalls marginal. Hatte das kreolische Einflüsse, wie auf der Homepage angekündigt? Heute sicher nicht. Aber das spielt auch keine Rolle, wenn alles Übrige auf dem Teller so stimmig war und eine klare, kreative Linie zeigt.
Herrscht beim Essen noch weitest gehende Übereinstimmung, ist die Kompatibilität bei der Weinauswahl naturgemäß schwieriger. Madame Borgfelder, die sich für die alkoholfreie Begleitung entschieden hat (und mehrfach am Abend um die kreativen Kreationen beneidet wird) und Monsier Shaneymac, der sich der offiziellen Weinbegleitung widmet, nehmen wir hier mal aus. Ansonsten ist die Feinabstimmung um die jeweils mutmaßlich am besten passenden Weine nicht immer einfach. Riesling-Jüngern stehen Liebhaber kräftiger holzbetonter Burgundersorten gegenüber, leichte Rotweine konkurrieren mit tanninbetonten Kreszenzen. Daraus ergeben sich zwar wortreiche, kabbelige Diskussionen, aber letztlich gehört das zum großen Spiel dazu und auch diese Wortgefechte reihen sich ein in die wunderbaren, vielfältigen und humorgeschwängerten Unterhaltungen dieses Abends.
Die finale Auswahl unserer Flaschen kann sich jedenfalls sehen lassen.
Die Weine
Zum Kaffee gönnt sich die Tischgesellschaft noch einen Digestif und dazu präsentiert Frédéric Morel höchst selbst seine stattliche Auswahl. Er macht das mit viel Sachverstand und Begeisterung, allerdings ohne Angabe von Preisen, was im Nachhinein für einen Misston führen wird, denn erst auf der Rechnung erkennen wir, dass ein Whiskey aus der Bretagne, für den sich zwei aus der Gruppe entscheiden, mit stolzen 40 Euro pro 2cl erscheint. Ein dezenter Hinweis dazu wäre nach allgemeiner Meinung am Tisch im Vorhinein angebracht gewesen und bestätigt mich darin, dass Erfahrungen mit nicht bepreisten oder nur wörtlich angebotenen Apéritif- und Digestif-Wagen in der Regel zu unangenehmen Überraschungen führen können, die letztlich einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und einen ansonsten makellosen Abend unnötig überlagern.
Ich plädiere also weiterhin für entsprechende Karten, die dem Gast bitte vorab gereicht werden. Man kann auch die jeweiligen Flaschen auf dem Wagen beschriften. All das würde unangenehme Rückfragen zu Preisen ersparen. Geht doch anderswo auch.
Der Service bekommt unsere Verstimmung beim Prüfen der nicht gerade bescheidenen Rechnung mit und entschuldigt sich dafür. Gleiches hätten wir uns eigentlich auch vom Chef gewünscht. Nun denn.
Da wir aber trotzdem sehr aufgeräumter Stimmung sind und am sehr aufmerksamen Service ansonsten nichts zu bemängeln haben, lassen wir uns die Laune und den Gesamteindruck dieses gelungenen Abends nicht beeinträchtigen. Denn tatsächlich ist das der einzige Faux Pas, den wir konstatieren müssen. Mit der noch ausbaufähigen Weinkompetenz geht der Service selbstbewusst und charmant um. Abgesehen davon hätte er es mit unseren individuellen Präferenzen eh schwer gehabt, so dass es sicher klüger war, uns das selbst ausfechten zu lassen. Alles übrige erledigt der Service souverän und kompetent.
So bleibt unterm Strich ein unterhaltsamer Abend, bei dem die Begegnung und die Gespräche mit den Gastro-Freunden mindestens so wichtig war wie das Essen. Und das hat seinen Michelin-Stern allemal verdient. Gäbe es einen für die Tischgesellschaft, dann wäre der mal sowieso sicher.
Bericht folgt wie immer auch auf meinem Blog tischnotizen.de – allerdings erst im Dezember (und so lange wollte ich die Gemeinde nach Shaneymacs beeindruckendem Epos dann doch nicht warten lassen)