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David Kikillus, einst im eigenen Restaurant am Dortmunder Gottesacker besternt, ist seit gut 6 Monaten Chef im NoName auf der Oranienburger Straße zwischen Synagoge und den Heckmann-Höfen. Noch tätowierter, noch direkter und - das vorweg - noch moderner. Die Stationen in der weiten Welt, ob nun freiwillig oder nicht, haben die Küche von Kikillus viel fokussierter werden lassen. Kein Durchexerzieren der 5. Textur sondern geradlinig zum Geschmack, dabei nah an den Produkten. Weder Scheu vor Luxuszutaten, noch vor modernen Küchentechniken und erst recht nicht vor starken Aromen. Intelligent, selbstbewusst und herausfordernd!
Der brandaktuelle Gault&Millau bewertet das NoName ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung aus dem Stand mit 15 Punkten sicher nicht zu hoch. (Daran sieht man, was intensive Medienarbeit ausmacht, wenn man bedenkt, wie lange andere gute Restaurants unter dem Radar bleiben.) Bei meiner Premiere kurz nach der Eröffnung fiel schon auf, dass der eine oder andere Teller noch in der Beta-Version serviert wurde. Aber das kann ja auch spannend sein mitzuerleben, wie sich einige Gerichte entwickeln. Zumal Chef Kikillus durchaus offen für eine ernsthafte Diskussion war.
Man merkt wohl schon - die Küche im NoName hat mich überzeugt.
Wie auch das Getränkeangebot!
Sommelier Steve Hartzsch (nach Stationen im einsunternull, 5Cinco, Fischers Fritz, Reinstoff) startet gleich mit mehreren hundert Positionen Alte Welt auf der Weinkarte, die mein Herz auch beim x-ten lesen höher schlagen lassen! Klar, da ist etliches im (eher niedrigen) dreistelligen Bereich. Aber viel mehr liegt darunter, beginnend bei weniger als 40€ und in einer wirklich zufrieden stellenden Breite. Nach dem jämmerlichen und ärgerlichen „Angebot“ im besternten SAVU ist dies eine echte Labsal nicht nur für Weinliebhaber. An Craft-Beer-Fans ist ebenso gedacht, wie an Freunde höherer Prozente. Viel Spaß beim Stöbern in der Karte!
Dass hier ordentlich Geld in die Hand genommen wurde, zeigt sich auch am Interieur. Dabei war das NoName eher als Pop-up gedacht bis zur Eröffnung des The Knast im ehemaligen Frauengefängnis in Lichterfelde.
Das zog und zieht sich (es scheint aber voran zu gehen) und als sich die Gelegenheit bot, die ehemalige Bar dauerhaft zu übernehmen, wurde der tiefe, schmale Raum mit feinen weißen Vorhängen von der 5 Meter hohen Stuckdecke bis zum Parkettboden und sehr zurückhaltender Möblierung im scheinbar skandinavischen Design modernisiert. Um den cleanen Look sofort mit einem übergroßen, lasziven Bondage-Mural völlig zu brechen.
Auch der secret room oberhalb der im Souterrain gelegenen Küche spielt bewusst mit Assoziationen an schwüle Separées und die Toilette verortet sich gar zwischen Bronx und Versailles (einschließlich goldenem Thron...). Harmonie ist anders, hier werden die Gegensätze der Hauptstadt zelebriert. Mitten auf die Zwölf, das ist das Motto!
Was sich erfreulicherweise beim Service so gar nicht fortsetzte. Wo gerade in Mitte und Prenzlberg häufig Arroganz oder Unfreundlichkeit nerven, setzt das Team von Gastgeber Alessandro Toscani auf zurückhaltende Aufmerksamkeit. Der legere Dresscode mit orangefarbenen Nike Airs, grauen Jeans, weißem Hemd und roten Hosenträgern mag etwas gewollt erscheinen, die Leistung war jedenfalls professionell und fehlerlos.
Trotz hoher Präsenz in den sozialen Medien und der Fachpresse blieb der Gästezuspruch bei meinen inzwischen drei Besuchen sehr überschaubar. Mehr als drei Tische waren nie besetzt, was auch der großen Konkurrenz in Berlin geschuldet sein mag. Das Pauly-Saal z.B. liegt nur zweimal um die Ecke.
Die Preise fügen sich in das Hauptstadt-Niveau ein. 105€ für ein 8-Gangmenü wurde auch von Herrn Hartzsch offen als „Eröffnungs-Angebot“ bezeichnet. Inzwischen hat der Gast die Wahl zwischen 7 Tellern zu 115€ oder dem kleinen 5-Gang-Angebot für 20€ weniger.
Der weiße Wermut (Lisa Bauer für das Freimeister Kollektiv) zum Auftakt für 6 Euro ebenso fair angeboten, wie der abschließende Boal Madeira für deren 5. Die Flasche 2014er Aligoté Bouzeron von Villaine für 49€ empfand ich als preiswert; das Glas Morgon Alte Reben von Descombes mit 10€ war da schon strammer bepreist. Der süße Vouvray Moelleux Première trie der Domaine Huet stand mit 13,5€ auf der Rechnung und war vorzüglich.
Aber genug der gewohnt kurzen Vorrede, entscheidend is aufm Teller:
Schon der dreiteilige Prolog
überzeugte mit ebenso unterschiedlichen wie perfekt gearbeiteten Kombinationen: Langostino-Tatar elegant in zart splitterndem Filoteigröllchen war mit erkennbarer Avocado und deutlicher Yuzu einerseits frisch, andererseits süffig vermählt und spielte am Ende seine geschmackliche Qualität aus.
Wunderbar cremige, kühle Gänseleber im Macaron von grünem Apfel und Hibiskus konnte auch mit Temperatur und Textur punkten.
Und der Knusper-Chip mit Seeigel, Kombu und Grünalge sorgte schließlich für einen kraftvollen, salzig-jodigen Ausflug ans Meer.
Zur Beruhigung der Geschmacksnerven kam heißes, duftendes Brot, feinporig, leicht säuerlich und mit sehr dünner, ein wenig zu harter Kruste.
Typisch, dass dazu nicht nur geschlagene Butter gereicht wurde, sondern auch ein intensives Leindotter-Öl.
Das eigentliche Menü begann mit Gillardeau-Auster als Tatar-Taler begleitet von schockgefrosteten Sanddorn-Shots und zwei Ravioli.
Nicht aus Teig, sondern aus hauchfeinen Kohlrabischeiben, die mit angenehm frischem Sanddornragout gefüllt waren. Angegossen noch ein Sanddorn-Öl.
Für die kräuterige Note sorgte eine luftige Dillmousse. Der Teller begeisterte durch den steten Wechsel der Texturen, Temperaturen und Aromen der drei Produkte. Wenn es an dieser Kreation etwas zu meckern gab, dann höchstens, dass die Auster mengenmäßig gegen die Mitspieler etwas unterging. Dachte ich. Aber da war ja noch Austerncrème und -Cracker mit Dillstaub und -Gel.
Damit war es der perfekte Auftakt.
Auch das folgende Wagyu-Beef wurde als Tatar-Boden gereicht, auf dem ein Gelee-Plättchen von fermentierter Gurke, eine Sphäre von Wachtel-Eigelb mit (zu wenig) Imperial-Kaviar und schließlich Blüten und Blätter geschichtet waren, die das Türmchen geheimnisvoll verdeckten.
Die Entwicklung des Geschmacksbildes war klar und spannend: Herb-kräuterig, salzig, säuerlich und erst ganz zum Abschluss der reine Fleischgeschmack. Wunderbar, nur das schnell breiig werdende Mundgefühl irritierte etwas. Hier hätte die Gurke gern etwas „bissiger“ eingesetzt werden dürfen.
Im ersten warmen Gang präsentierte die Küche als mare e monte Variationen von Carabinero und Hühnerhaut.
Etwas leiser das rohe Krustentierfleisch im einfallsreichen Spargelröllchen mit feinem Yuzu-Gel.
Und als Paukenschlag gebraten mit der Kombi Hühnerhaut und Jalapeño, flüssig, als Sand und in Form eines knusprig ausgebackenen Streifens.
Bei letzterem schien mir allerdings das Öl geschmacklich stärker als die Geflügelhaut zu sein, was wohl gewollt war, da ebenso bei meinem Folgebesuch empfunden. Großes Kino dagegen der Sand, der zwischen Schärfe, Salzigkeit und umami changierte und zum Einstippen der fleischigen Garnele geradezu einlud. Heaven, I‘m in heaven...
Die Karte kündigte als nächstes kurz und bündig Estragon Kamille Kräuter an. Dahinter verbarg sich ein kleiner vegetarischer Zwischengang.
Oder der polarisierendste Genuss des Abends. Ich würde allein für diesen Gang immer wieder ins NoName pilgern. Mein Kollege, der mich beim zweiten Besuch begleitete, sprach - sich schüttelnd - von Mundwasser-Geschmack (den er immerhin mit einem Hermitage von Chaves herunterspülen konnte).
Was gab’s also: In der geeisten Schüssel versteckte sich ein Estragon-Sorbet mit wilden Kamille-Blüten und verschiedenen Kräutern, abgedeckt von knusprigem Kamille-Papier. Das beeindruckende Spiel von Säure, Süße und Ätherik bei gleichzeitig so starken Eigen-Aromen muss man erleben, ich kann es nicht beschreiben. Das völlig überraschende, anregende Prickeln auf der Zunge gegen Ende des Genusses, das mich an Szechuan-Pfeffer erinnerte, dagegen schon. Boah, ey!
Vermutlich dachte die Küche, mich nun endgültig auf ihre Seite gezogen zu haben. Aber das lächelnde Fallbeil aus Borgfeld blieb unbestechlich;-) Die lauwarme Taube mit schlaffer Haut und weitgehend erkaltetem Gemüse ging postwendend zurück, was beim Service ohne eine Sekunde des Zögerns eine sofortige Entschuldigung verursachte. Mir wurde natürlich angeboten, den Gang auszulassen oder ihn neu à la minute zu bereiten. Bei einem weiteren Gläschen Beaujolais aufs Haus wartete ich gern und wurde mit tadellos gegarten Mieral-Ware
belohnt, zwei großzügige Brust-Tranchen und eine schön saftige Praline von gezupftem Keulenfleisch. Als Begleiter das geschmackvollste Röst-Gemüse (Aubergine, Zwiebel, Zucchino)
ein Mus von schwarzem Knoblauch und als fruchtig-säuerlicher Part Cranberry-Gel. Mit dem vollfetten Joghurt,
der Minze und dem Baba Ganoush-Gewürz war klar, dass der leckere Vogel die Route über den kulinarischen Orient genommen hatte. Tadellos, lecker, interessant - nur nicht ganz auf dem kreativen Niveau der vorherigen Gänge. Aber auch in der steilsten Achterbahn braucht es etwas ruhigere Passagen.
Allerdings sollte auch nicht zu stark gebremst werden. Als Pre-Dessert eine optisch interessante Komposition aus nur schwach erkennbarem Rhabarber, süßer Mandel und einer Reduktion von Knollensellerie, die immerhin eine gewisse Erdigkeit mitbrachte.
Ansonsten war der Teller viel zu süß und von langweiliger Textur. Ob etwas vergessen wurde oder meine Kritik zum Nachdenken anregte, beim Wiederholungsbesuch servierte David Kikillus am Tisch zusätzlich gefrorene Rhabarber-Bullets und auch ein Zitrusaroma hatte seinen Weg in das Gericht gefunden. Viel besser; zum ersten Versuch nur gewohnt dalai-lamaesk: Schwamm drüber.
Zumal das eigentliche Dessert im Rahmen meiner begrenzten Begeisterung für Nachspeisen deutlich mehr überzeugen konnte.
Leicht bittrig-karamellige Chips von gerösteter Heumilch über Eis von weißer Schokolade mit erdigem Pilzstaub waren einerseits im süßen Bereich, aber auch herzhaft und crunchy. Auch, wenn es unspektakulär daherkam:
Kannste schicken...
Als letzten Gang dann Fourme d‘Ambert natur und mit Stickstoff gefrostete Flocken, deren Textur frappierend frischem Popkorn glich, nur eben mit Blauschimmel-Aroma.
Schön, schön, der Chef scheut sich nicht vor Molekularspielereien... Im Stickstoffnebel
verbargen sich geschmacklich unauffällige Birne mit weichem Biss und schließlich Haselnuss für einen seidenweichen Nougat-Effekt.
Die Patisserie beendete den durchweg spannenden Abend völlig angemessen: Sanfte Anfahrt mit Vanille-Himbeer-Macaron. Gas geben mit (Berliner) Pfannkuchen, in dem eine kräftige Miso-Paste steckte. Und zum Schluss volle Fahrt ins Vergnügen mit dem scharf-süß-ätherischen Ingwer-Ananas-Fichte-Gelee!
David Kikillus? Da isser wieder!
P.S.: Die leicht angehobene Benotung berücksichtigt auch die Folgebesuche mit weitgehend identischem Menü.